Schweizer Studie: Kompensatorische Wirkung der Tagesschule

Der Besuch einer Tagesschule wirkt sich auf Pflichtschulkinder bereits nach zwei Schuljahren positiv aus. Sie weisen bessere Sprachkompetenzen, ein positiveres Sozialverhalten sowie bessere Alltagsfertigkeiten auf als andere Kinder. Zu diesen Ergebnissen kommt eine vom Schweizerischen Nationalfonds (SNF) unterstützte Studie. Die Autoren der Studie empfehlen, dass die Schulen in der Schweiz vermehrt Tagesschulen von hoher pädagogischer Qualität einrichten.

Wie Vorarlberg: Tagesschule die AusnahmeIn vielen Ländern Europas und in den Vereinigten Staaten ist die ganztägige Bildung und Betreuung von Schulkindern in einer Tagesschule die Regel. Sie besuchen dort den Unterricht, essen zu Mittag, erledigen ihre Hausaufgaben und verbringen einen Teil ihrer Freizeit. In der Schweiz stellt die Tagesschule die Ausnahme dar. In den meisten Kantonen wurde jedoch in den letzten Jahren der Blockzeitenunterricht eingeführt sowie ein darauf aufbauendes ganztägiges Bildungs- und Betreuungsangebot - so genannte Tagesstrukturen - diskutiert und teilweise umgesetzt.

Walter Herzog und Marianne Schüpbach, beide Erziehungswissenschaftler an der Universität Bern, haben untersucht, wie sich die verschiedenen Schulformen auf die schulischen Leistungen und die sozio-emotionale Entwicklung der Kinder auswirken. Sie verglichen Kinder, welche die Tagesschule (Nutzung der Tagesstrukturen mindestens dreimal pro Woche während 7,5 Stunden), den Blockzeitenunterricht (Unterricht am Morgen während 4 Lektionen für die ganze Klasse) und den traditionellen Halbklassenunterricht (mit Freistunden durchsetzter Stundenplan) besuchen. Die Längsschnittstudie bezieht 521 am Anfang ihrer Schulzeit stehende Primarschulkinder aus 11 Deutschschweizer Kantonen mit ein. Die Kinder verteilten sich auf 70 Klassen und 56 Schulen aus mehrheitlich städtischen Gebieten und Agglomerationen; die Tagesschulkinder stammten aus 10 Klassen.

Bessere Sprachkompetenzen.
Das auffälligste Ergebnis der erziehungswissenschaftlichen Pionierstudie: Die Tagesschulkinder weisen erstens nach den ersten zwei Schuljahren bessere sprachliche Kompetenzen auf als ihre Altersgenossen, die den Blockzeitenunterricht oder den traditionellen Halbklassenunterricht besuchen. Sie können Wörter besser und schneller lesen und verstehen. Bei den mathematischen Kompetenzen schneiden die Tagesschulkinder hingegen weniger gut als die anderen Kinder ab.

Die Tagesschulkinder schneiden zweitens auch bei der sozialen und emotionalen Entwicklung sowie den Alltagsfertigkeiten besser ab. Das heißt, sie erweisen sich im Umgang mit Gleichaltrigen als kompetenter und zeigen ausgeprägter Verhaltensstärken - so können sie sich beispielsweise besser konzentrieren, haben weniger Angst und sind in neuen Situationen weniger nervös. Bei den Alltagsfertigkeiten können sie zum Beispiel eher die Schuhe selber schnüren oder Messer, Gabel und Messer angemessen benutzen.

Kompensatorische Wirkung der Tagesschule.
Die Forschenden haben bei ihrer Untersuchung auch den familiären Hintergrund der Kinder mit einbezogen. Hier zeigt sich - einmal mehr -, dass Kinder, die von ihren Eltern gefördert werden, bessere schulische Leistungen erbringen als Kinder, die von den Eltern kaum unterstützt werden - unabhängig davon, welche Schulform sie besuchen. Die Studie zeigt jedoch auch, dass die Tagesschule nachteilige Bedingung einer geringen familialen Unterstützung kompensieren kann, und zwar bei den Alltagsfertigkeiten und beim Selbstbild bezüglich der Fähigkeiten in Mathematik.

Schließlich haben die Forscher auch die pädagogische Qualität des Schulunterrichts wie des außerunterrichtlichen Teils berücksichtigt. Hier zeigt sich, dass sich der Besuch einer pädagogisch guten Tagesschule besonders auf die Sprachkompetenzen und die sozio-emotionale Entwicklung positiv auswirkt. Für die Sprachkompetenzen ist sowohl die Qualität des Unterrichts als auch der außerunterrichtlichen Betreuung entscheidend.


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